Unterschiede im Training zwischen Frauen und Männern – norwegische Elitetrainer schildern ihre Erfahrungen
Von Matthias Graf
Zehn norwegische Ausdauertrainer (verantwortlich für insgesamt 263 internationale Medaillen) wurden zum Thema „Trainingsunterschiede von Frauen und Männern“ interviewt. Das Einschlusskriterium hierfür war, dass sie in der Vergangenheit sowohl Frauen als auch Männer erfolgreich trainiert haben. Die Trainer kommen aus den Sportarten Rudern, Triathlon, Skilanglauf, Radfahren, Biathlon, Schwimmen, Eisschnelllauf und Leichtathletik. Bei der Trainingsgestaltung wird unter diesen Trainern die männliche Physiologie und Psychologie als „Norm“ angenommen. Der Grund hierfür ist laut den Trainern, dass sportwissenschaftliche Studien in der Vergangenheit größtenteils nur mit Männern durchgeführt wurden. Deswegen machen die Trainer deutlich, dass entsprechende Fragestellungen in der Zukunft ebenfalls mit weiblichen Sportlerinnen untersucht werden müssen. Neben dieser Erkenntnis machten die Trainer deutlich, dass ein geschlechtsunabhängiger Individualisierungsprozess in der Trainingsplanung für jede/n Athlet*in am wichtigsten ist. Denn die individuellen Unterschiede sind größer als es geschlechtsbedingte Unterschiede sind. Weiter wurde deutlich gemacht, dass das physiologische Anforderungsprofil im Wettkampf sich zwischen Frauen und Männern unterscheidet. Gründe hierfür sind, dass entweder weniger Wettkämpfe absolviert werden oder unterschiedliche Wettkampfdauern vorherrschen. Aufgrund dessen muss in jeder Sportart individuell die Trainingsgestaltung angepasst werden. Festgestellt wurde zudem, dass Frauen eine geringere Toleranz für muskuläre Belastungen besitzen, wodurch schon frühzeitig ein starker Fokus auf ein umfassendes Kraft- und Athletiktraining gelegt werden sollte. Während des Menstruationszyklus sollte bei entsprechenden Beschwerden individuell auf die Trainingsgestaltung eingegangen werden. Zudem kommt es bei Frauen im spätpubertären Alter häufig zu einer kurzzeitigen, hormonell bedingten Leistungsstagnation. Bei der Trainer-Athlet*innen-Kommunikation ist bei Frauen ein sensiblerer Umgang in der Wortwahl als bei Männern notwendig. Außerdem sollten Frauen öfter bestärkt werden, sich aktiv in den Prozess der Trainingsplanung einzubringen, um diesen persönlich mitzugestalten.
Welche Unterschiede im Training sind zwischen den Geschlechtern auszumachen?
- Individuelle Unterschiede sind größer als geschlechtsspezifische
- Streckenlängen und Wettkampfdauern wirken sich unterschiedlich auf das Geschlecht aus
- Krafttraining ist wichtig für Frauen, um die höheren muskulären Beanspruchungen zu verkraften
- Trainer-Athlet*innen-Kommunikation unterscheidet sich zwischen Frau und Mann
Einleitung
In der Sportwissenschaft ist es üblich, dass Trainingspraktiken mittels „Best-Practice“ Beispielen von erfolgreichen Sportler*innen beschrieben werden. Trotzdem gibt es leider wenig Literatur zum Thema der unterschiedlichen Trainingsgestaltung bei Frauen und Männern, obwohl es unbestritten ist, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede in Physiologie und Psychologie gibt. Oftmals wird in der Trainingsgestaltung deswegen von Trainer*innen auf Intuition und Erfahrung zurückgegriffen. Aufgrund dessen sollen mit Hilfe dieser Studie die geschlechtsspezifischen Unterschiede aufgezeigt werden. Hierfür wurden 10 norwegische Eliteausdauertrainer interviewt. Diese Trainer haben alle sowohl mit Frauen als auch mit Männern auf allerhöchstem Niveau zusammengearbeitet und insgesamt 263 internationale Medaillen bei Olympischen Spielen, WM und EM gewonnen. Die Trainer kommen aus den Sportarten Rudern, Triathlon, Skilanglauf, Radfahren, Biathlon, Schwimmen, Eisschnelllauf und Leichtathletik.
Ergebnisse
Nach Auswertung der Interviews konnten die Aussagen der Trainer in vier Kategorien eingeteilt werden. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede konnten an folgenden Kategorien festgemacht werden:
- Sportspezifische Wettkampfanforderungen
- Physiologische Faktoren
- Psychologische Faktoren
- Interpersonale Faktoren
Losgelöst von diesen Kategorien monierten die Trainer, dass aufgrund fehlender Evidenz oftmals die männliche Physiologie und Psychologie als „Norn“ angesehen werden muss. Sie machen deutlich, dass in zukünftigen Studien Frauen mit einbezogen werden müssen. Außerdem machten die Trainer deutlich, dass ein individuell gestalteter Trainingsprozess wichtiger ist als das Training rein an das jeweilige Geschlecht anzugleichen. Für jede/n Athlet*in sollte hierfür das Training individuell vom Trainer gesteuert werden. Zudem entsteht durch ein Miteinbeziehen der Athlet*innen neben Vertrauen auch ein gegenseitiges Verständnis für die jeweiligen Trainingsziele.
Im Folgenden werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den entsprechenden Hauptkategorien vorgestellt. Hierbei haben die Trainer auf der einen Seite Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede und auf der anderen Seite praktische Handlungsanweisungen und Auswirkungen für den Trainingsalltag aufgezählt. Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass die jeweiligen Unterschiede nicht immer an die nebenstehende Handlungsanweisung gekoppelt sind. Vielmehr sollten die Handlungsanweisungen in der Trainingsplanung entsprechend beachtet werden.
Unterschiedliche sportspezifische Wettkampfanforderungen
Geschlechtsspezifische Unterschiede | Praktische Handlungsanweisungen |
Unterschiede in absoluter Leistung; Frauen sind langsamer bei selber relativer Intensität | Frauen müssen explosiver und bei höheren Intensitäten trainieren |
Frauen sind bei gleicher relativer Intensität einer höheren muskulären Belastung in Training und Wettkampf ausgesetzt | Frauen absolvieren weniger Kilometer bei derselben Trainingsdauer |
Bei Frauen ist das Equipment (Biathlonwaffe) schwerer relativ zum Körpergewicht | Frauen benötigen mehr Variationen bei Geschwindigkeit und Gelände, um einseitige muskuläre Überlastungen zu vermeiden |
Frauen haben weniger und kürzere Wettkämpfe | Frauen tolerieren und reagieren schlechter auf lange Einheiten im moderaten-intensiven Bereich (Zone 3 & 4) durch die erhöhte muskuläre Belastung |
Unterschiedliche physiologische Faktoren
Geschlechtsspezifische Unterschiede | Praktische Handlungsanweisungen |
Frauen haben unterschiedliche physiologische und anatomische Voraussetzungen. Die Folge sind ein geringeres relatives Kraftniveau, unterschiedliche technische Herangehensweisen und eine geringere Toleranz zur muskulären Beanspruchung | Frauen benötigen einen unterschiedlichen technischen und taktischen Ansatz verglichen mit den Männern. Männer sollten nicht als Technikvorbilder genutzt werden |
Der Menstruationszyklus kann sowohl Trainingsqualität als auch Belastungsverträglichkeit beeinträchtigen | Trainingsbelastungen sollen an den Menstruationszyklus angepasst werden |
Frühere Pubertät und Entwicklungsphasen der Frauen beeinflussen das Training in Richtung Hochleistungstraining | Frauen tolerieren monotone muskuläre Beanspruchungen (z.B. in Skatingposition) schlechter oder auch lange Einheiten bei hohen Intensitäten |
Unterschiedliche hormonelle Reaktionen resultieren in Leistungsstagnationen zwischen der Pubertät und späten Jugendzeit bei Frauen | Wichtig ist es, eine stabile Trainingsgrundlage in der frühen Karrierephase aufzubauen und geduldig in kritischen Entwicklungsphasen zu sein |
| Frauen müssen einen verstärkten Fokus auf Kraft und Powertraining legen |
Unterschiedliche psychologische Faktoren
Geschlechtsspezifische Unterschiede | Praktische Handlungsanweisungen |
Frauen sind gewissenhafter (folgen Plan gründlicher) aber weniger selbstständig | Männliche Trainer benötigen mehr Zeit für den Aufbau eines guten Verhältnisses zwischen Trainer & Athletin und es dauert länger ihr Vertrauen zu gewinnen |
Frauen benötigen stärker ein gutes Trainer-Athletinnen Verhältnis, Sicherheit und Vertrauen | Trainer sollten Frauen bestärken, ihre Meinungen zu vertreten, Input für das Training zu geben und die Neugierde am Training zu wecken |
Weibliche Sportlerinnen sind weniger belastbar und benötigen mehr Unterstützung bei Widrigkeiten | Trainer müssen die Eigenverantwortung der Frauen für das Training fördern |
Frauen sind eher emotional, empfindlich und unsicher | Trainer müssen den Frauen gründlicher und besser zuhören |
Männer vermitteln mehr Interesse beim Trainingsprozess |
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Frauen werden in ihrem Umfeld anders als Männer behandelt, wodurch psychologische Geschlechterunterschiede verstärkt werden |
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Unterschiedliche interpersonale Faktoren
Geschlechtsspezifische Unterschiede | Praktische Handlungsanweisungen |
Kommunikation kann mit Männern direkter erfolgen | Männliche Trainer sind in der Kommunikation vorsichtig, um das Selbstvertrauen der weiblichen Athletinnen nicht negativ zu beeinflussen |
Weibliche Trainerinnen können direkter mit Frauen kommunizieren | Trainer sollten weibliche Athletinnen mehr in den Trainingsplanungsprozess involvieren |
Kommunikation muss gründlicher mit Frauen erfolgen und mehr Nachfragen sind zu erwarten | Das Verhältnis zwischen Trainer & Athlet*in ist möglicherweise vom Geschlecht abhängig |
Männer wünschen es sich öfter in den Planungsprozess integriert zu werden |
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Frauen sollten aktiv bestärkt werden, ihre Meinungen auszusprechen und zu vertreten |
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Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Training and coaching of female vs. male endurance athletes on their road to gold. Perceptions among successful elite athlete coaches." die 2023 im „German Journal of Sports Medicine" veröffentlicht wurde.
Quellen
Bucher Sandbakk S, Tønnessen E, Haugen T, Sandbakk Ø. Training and coaching of female vs. male endurance athletes on their road to gold. Perceptions among successful elite athlete coaches. Dtsch Z Sportmed. 2022; 73: 251-258. doi:10.5960/dzsm.2022.549