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Studie

Energiemangel im Sport – Ursachen, Folgen und Konsequenzen für den Umgang mit Athleten in der Praxis

Von Pia Jensen

„Relative-Energy Deficiency in Sports“, auch bekannter als RED-S, ist momentan ein oft verwendeter Begriff in der Sporternährung und beschreibt ein Konzept der Energieverfügbarkeit. Die Energieverfügbarkeit ist definiert als verfügbare Energiemenge für physiologische Körperfunktionen nach Abzug der energetischen Kosten des Trainings. Eine unzureichende und somit zu geringe Energieverfügbarkeit wird als LEA (low energy availability) bezeichnet und bedeutet, dass dem Körper nach dem Energiebedarf für das Training nicht mehr genug Energie für die körperlichen Grundfunktionen zur Verfügung steht. Dies ist problematisch, da dadurch der Hormonstatuts verändert werden kann und somit zahlreichen gesundheitlichen Risiken entstehen. Die konkreten Auswirkungen einer LEA betreffen das Hormonsystem, Reproduktionssystem, Knochenstoffwechsel und Skelettmuskulatur. Infolgedessen verringert sich zum Beispiel die Leistungsfähigkeit und die Verletzungsanfälligkeit der betroffenen Sportler*innen. Auf Basis von Interventionsstudien, welche einen direkten Einfluss von LEA auf Gesundheits- und Leistungsparameter zulassen beleuchtet das Review detailliert die Folgen von LEA.

Niedrige Energieverfügbarkeit: Definition und Evidenz des Einflusses auf endokrine, metabolische und physiologische Parameter bei Frauen und Männern

  • Das Konzept der Energieverfügbarkeit muss von der Energiebilanz unterschieden werden
  • Eine LEA hat gesundheitlichen Folgen auf das Hormonsystem, Reproduktionsfähigkeit, Knochenstoffwechsel, Skelettmuskulatur und Leistungsfähigkeit
  • Als kritische LEA gilt ein Grenzwert von 30 kcal pro Kilogramm fettfreier Masse
  • Frauen sind stärker von gesundheitlichen Folgen betroffen als Männer

Hintergrund

Eine unzureichende Energiezufuhr kann das Gleichgewicht des menschlichen Körpers durcheinanderbringen. Dieser Effekt ist durch den erhöhten Energiebedarf häufig bei Sportlern zu beobachten. Die physiologischen Auswirkungen wurden zuerst bei Frauen im Konzept der „Female Athlete Triad“ ergründet, jedoch inzwischen auch auf Männer übertragen und werden nun im Konzept des RED-S vereint dargestellt. Die zugrundeliegende Ursache der negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ist eine niedrige Energiezufuhr relativ zum Energieverbrauch bei sportlich aktiven Menschen.  

Das Ziel des Reviews war es einen kritischen Überblick über das Konzept der Energieverfügbarkeit zu geben und vor allem alle experimentellen Studien miteinzubeziehen, die eine Manipulation der Energieverfügbarkeit unter kontrollierten Bedingungen untersucht haben, um somit Stärken und Schwächen des Konzepts und ihre Konsequenzen für die Praxis zu beleuchten [1,2].

Das Konzept der Energieverfügbarkeit und seine Berechnungsgrundlage

Die Energieverfügbarkeit gibt die Energiemenge an, die dem Körper für physiologische Grundfunktionen außerhalb des Trainings täglich zur Verfügung steht.

Energieverfügbarkeit = (Energiezufuhr (kcal) – Trainingsenergieumsatz (kcal)) / Fettfreie Körpermasse (kg)

Eine niedrige Energieverfügbarkeit, also LEA (low energy availability), hat weitreichende Folgen und kann zu hormonellen, metabolischen und physiologischen Dysfunktionen führen. Als kritische Schwelle gilt ein Wert von 30 kcal pro Kilogramm (kg) Fettfreier Masse (FFM) pro Tag. Bereits kurzzeitige akute Perioden einer LEA von einigen Tagen (<5 Tage) können zu Veränderungen verschiedener Gesundheitsmarker führen, während die langfristigen chronischen Effekte von LEA weitreichende negative gesundheitliche Folgen auf das Hormonsystem, Knochenmineraldichte, Muskelfunktion und Immunsystem haben können.

Ein Athlet*in mit einem Körpergewicht von 75kg und einer fettfreien Masse von 65kg hat eine Energiezufuhr von 3000 kcal und verbraucht durch das Training 1000 kcal.

Energieverfügbarkeit = (3000 – 1000) / 65 = 31

Die Energieverfügbarkeit wäre in diesem Beispiel folglich 31kcal/kg pro FFM/Tag und läge damit bereits nahe der kritischen Schwelle von 30kcal/kg FFM/Tag und kann somit als zu gering eingestuft werden.

Energieverfügbarkeit sollte nicht mit Energiebilanz verwechselt werden

Die Energiebilanz bezieht alle Komponenten des Energieverbrauchs, wie Ruheumsatz, nahrungsinduzierte Thermogenese, Freizeitumsatz und Trainingsumsatz, mit ein und wird typischerweise im Kontext der Körperzusammensetzung und Gewichtsmanagement verwendet. Die Energieverfügbarkeit hingegen fokussiert sich auf den Trainingsenergieumsatz und benennt folglich die Energiemenge, welche dem Körper für die physiologischen Grundfunktionen außerhalb des Trainings zur Verfügung steht. Ironischerweise ist eine ausgeglichene Energiebilanz nicht mit einem gesunden Stoffwechsel gleichzusetzen, denn der Körper ist hoch adaptiv und passt seinen Energieverbrauch dynamisch an. So kann eine langfristige LEA zu einem verringerten Ruheumsatz von ca. 10-20% führen, um die Funktion von lebensnotwendigen Organen und Geweben aufrechtzuerhalten und auch den Energieverbrauch bei Belastung herabsetzen [3]. Dieser Mechanismus ist wohl evolutionär bedingt, um Hungerzustände zu überleben. Es ist in etwa gleichzusetzen mit automatischem Umschalten des Handys in den „Energiesparmodus“. Der neue adaptierte Status spart zwar Energie ein, ist aber suboptimal und geht im Kontext der LEA mit erheblichen Beeinträchtigungen der endokrinen und metabolischen Funktionen einher.

Die gesundheitlichen Veränderungen einer zu geringen Energieverfügbarkeit (<30kcal/kg FFM/Tag) haben wie bereits erwähnt deutliche Auswirkungen auf das Hormonsystem, die Substratnutzung, den Knochenstoffwechsel und Muskelfunktion.

Negative Veränderungen des Hormonhausalts

Der Hormonhaushalt beeinflusst die Regulation des Energieverbrauchs entscheidend, wobei vor allem die Schilddrüsenhormone eine Schlüsselrolle einnehmen. So können niedrige Schilddrüsenwerte (ein wichtiger Parameter sind hier die Trijodthyronin (T3)-Level) ein Hinweis für LEA und somit ein wichtiger Marker in der Praxis sein. Dies gilt jedoch vorrangig für Frauen, denn bei Männern konnte bisher keine Reduktionen der T3-Level nachgewiesen werden. Des Weiteren sind auch anabole Hormone durch LEA negativ beeinflusst. Dies kann es zu einer Verringerung von wichtigen Wachstumshormonen im Trainingsprozess führen. Außerdem konnten erhöhte Cortisolwerte nachgewiesen werden. Cortisol gilt als kataboles Hormon und somit kann es in Summe zu einer verringerten Trainingsadaptation kommen.

Einen großen Einfluss hat LEA auf die Reproduktionsfähigkeit. Eines der häufigsten Symptome ist das Ausbleiben der Menstruation bei Frauen. Bei welchem Grenzwert genau (etwa von 30kcal/kg FFM/Tag) es zum Ausbleiben der Regelblutung kommt ist noch unklar [4]. Bei Männern gibt es bisher nur wenig Nachweise über den Einfluss von LEA auf die Geschlechtshormone. In zwei Studien konnten verringerte Testosteronlevel in Folge von LEA nachgewiesen werden. Weitere Ergebnisse deuten auf eine Unterfunktion der Hoden und eine verschlechterte Reproduktionsfähigkeit hin. Die Evidenz gibt aber bislang keine Dosis-Wirkung-Beziehung her und es ist nicht sicher, ob die verringerten Testosteronwerte durch LEA oder durch den erhöhten Trainingsumfang an sich zustande kommen [5].

Erhöhtes Risiko für Stressfrakturen und Osteoporose

Eine LEA führt zu einer verringerten Knochenmineraldichte und einem erhöhten Risiko für Osteoporose und Stressfrakturen. Der Knochenumbau ist ein langsamer Prozess, der kontinuierlich durch Aufbau und Abbau der Knochenstruktur stattfindet. Durch LEA sind vor allem die Marker des Knochenaufbaus negativ beeinträchtigt, während die Knochenabbaumarker scheinbar weniger beeinflusst werden. Diese Erkenntnisse sind derzeit nur auf Frauen anwendbar, da Männer widerstandsfähiger gegenüber Einflüssen von LEA auf den Knochenstoffwechsel scheinen. Obwohl Stressfrakturen dreimal häufiger bei Frauen als bei Männern auftreten, lassen neuere Studien darauf schließen, dass verschlechterte Knochenmarker auch bei Männern ein Problem darstellen [6,7].

Skelettmuskulatur und physische Leistungsfähigkeit

Durch LEA kann es zu einer schlechteren Muskelproteinsynthese kommen, da die anabole Hormonsituation verschlechtert ist. Hierbei gibt es keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern.  Bei einer kurzzeitigen LEA (<24 Stunden bis drei Tage) ist die Neubildung von Mitochondrien hingegen unbeeinflusst. Zudem scheint auch grundsätzlich die oxidative Kapazität und damit die aerobe Leistungsfähigkeit bei LEA erhalten zu bleiben [8]. Diese Untersuchungen stehen im Einklang mit Eindrücken aus der Praxis, welche Athleten häufig mit Symptomen einer akuten oder chronischen LEA zeigen, die trotzdem eine hohe aerobe Leistungsfähigkeit haben. Eine langfristige LEA beeinflusst jedoch die Ausdauerleistung und Trainingsadaptation negativ und kann zu Trainingsausfällen aufgrund von Stressfrakturen und einer erhöhten Infektanfälligkeit führen [9].

Ausblick und weitere Forschung

Das Forschungsfeld von LEA ist eines der wenigen, welches mehr bei Frauen als Männern untersucht worden ist. Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Männern möglicherweise widerstandfähiger gegenüber LEA sind, jedoch Bedarf es hier weiterer Forschung. Unklar ist zudem, inwieweit eine LEA durch eine kurzfristig deutliche Erhöhung der Energiezufuhr kompensiert werden kann. Studien deuten jedoch darauf hin, dass die Wiederherstellung eines normalen endokrinen Mileus ein langsamer Prozess ist und daher Wochen bis Monate in Anspruch nehmen kann [8]. Inwiefern die Zusammensetzung der Ernährung eine Rolle spielt, ist nicht abschließend geklärt. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Kohlenhydratverfügbarkeit ein wichtiger Einflussfaktor im Knochenstoffwechsel darstellt und möglicherweise eine Schlüsselrolle einnimmt [10].

Fazit

Es ist kein Geheimnis, dass Unterversorgung und Gewichtsverlust sich mittel- bis langfristig sowohl mental als auch körperlich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Das Konzept der Energieverfügbarkeit und LEA beschreibt dabei aber ganz klar den Trainingsbezogenen Energiemangel. Insbesondere für die Ausdauersportarten, bei denen große Trainingsumfängen einen hohen Energiebedarf erzeugen, ist es wichtig zu verstehen, welche Folgen speziell LEA haben kann. Und hier zeigen gut kontrollierte Studien eindeutig, dass eine LEA zu einer Beeinträchtigung der Reproduktionsfähigkeit, Stressfrakturen, Verlust von Muskelmasse und einer herabgesetzten Leistungsfähigkeit führen kann. Zudem bestehen langfristige gesundheitlichen Folgen wie ein erhöhtes Osteoporoserisiko und Hormonprobleme.

Hintergrundwissen und Informationen zu RED-S können vor allem dazu beitragen Trainer- und Athlet*innen für die Thematik zu sensibilisieren. Dabei geht es nicht darum immer die Kalorien zu ermitteln, sondern RED-S grundsätzlich zu kennen und bei Bedarf in Zusammenarbeit mit ausgebildetem Fachpersonal (Medizin/Ernährung) zu reagieren.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Low energy availability: History, definition and evidence of its endocrine, metabolic and physiological effects in prospective studies in females and males.", die 2021 im „European Journal of Applied Physiology" veröffentlicht wurde.

Quellen

Areta, J. L., Taylor, H. L., & Koehler, K. (2021). Low energy availability: History, definition and evidence of its endocrine, metabolic and physiological effects in prospective studies in females and males. European Journal of Applied Physiology, 121(1), 1–21. https://doi.org/10.1007/s00421-020-04516-0 

  1. Logue, D., Madigan, S. M., Delahunt, E., Heinen, M., Mc Donnell, S.-J., & Corish, C. A. (2018). Low Energy Availability in Athletes: A Review of Prevalence, Dietary Patterns, Physiological Health, and Sports Performance. Sports Medicine, 48(1), 73–96. https://doi.org/10.1007/s40279-017-0790-3
     
  2. Mountjoy, M., Sundgot-Borgen, J. K., Burke, L. M., Ackerman, K. E., Blauwet, C., Constantini, N., Lebrun, C., Lundy, B., Melin, A. K., Meyer, N. L., Sherman, R. T., Tenforde, A. S., Klungland Torstveit, M., & Budgett, R. (2018). IOC consensus statement on relative energy deficiency in sport (RED-S): 2018 update. British Journal of Sports Medicine, 52(11), 687–697. https://doi.org/10.1136/bjsports-2018-099193
     
  3. Koehler, K., Williams, N. I., Mallinson, R. J., Southmayd, E. A., Allaway, H. C. M., & De Souza, M. J. (2016). Low resting metabolic rate in exercise-associated amenorrhea is not due to a reduced proportion of highly active metabolic tissue compartments. American Journal of Physiology. Endocrinology and Metabolism, 311(2), E480-487. https://doi.org/10.1152/ajpendo.00110.2016
     
  4. Lieberman, J. L., DE Souza, M. J., Wagstaff, D. A., & Williams, N. I. (2018). Menstrual Disruption with Exercise Is Not Linked to an Energy Availability Threshold. Medicine and Science in Sports and Exercise, 50(3), 551–561. https://doi.org/10.1249/MSS.0000000000001451
     
  5. Hackney, A. C. (2020). Hypogonadism in Exercising Males: Dysfunction or Adaptive-Regulatory Adjustment? Frontiers in Endocrinology, 11, 11. https://doi.org/10.3389/fendo.2020.00011
     
  6. Papageorgiou, M., Dolan, E., Elliott-Sale, K. J., & Sale, C. (2018). Reduced energy availability: Implications for bone health in physically active populations. European Journal of Nutrition, 57(3), 847–859. https://doi.org/10.1007/s00394-017-1498-8
     
  7. Tenforde, A. S., Kraus, E., & Fredericson, M. (2016). Bone Stress Injuries in Runners. Physical Medicine and Rehabilitation Clinics of North America, 27(1), 139–149. https://doi.org/10.1016/j.pmr.2015.08.008
     
  8. Areta, J. L., Iraki, J., Owens, D. J., Joanisse, S., Philp, A., Morton, J. P., & Hallén, J. (2020). Achieving energy balance with a high-fat meal does not enhance skeletal muscle adaptation and impairs glycaemic response in a sleep-low training model. Experimental Physiology, 105(10), 1778–1791. https://doi.org/10.1113/EP088795
     
  9. Melin, A. K., Heikura, I. A., Tenforde, A., & Mountjoy, M. (2019). Energy Availability in Athletics: Health, Performance, and Physique. International Journal of Sport Nutrition and Exercise Metabolism, 29(2), 152–164. https://doi.org/10.1123/ijsnem.2018-0201
     
  10. Hammond, K. M., Sale, C., Fraser, W., Tang, J., Shepherd, S. O., Strauss, J. A., Close, G. L., Cocks, M., Louis, J., Pugh, J., Stewart, C., Sharples, A. P., & Morton, J. P. (2019). Post-exercise carbohydrate and energy availability induce independent effects on skeletal muscle cell signalling and bone turnover: Implications for training adaptation. The Journal of Physiology, 597(18), 4779–4796. https://doi.org/10.1113/JP278209
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