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Studie

Jubelndes Publikum – extra Motivationskick oder zusätzlicher Druck?

Von Amelie Heinrich

Heimweltcup vor den jubelnden Fans in Oberhof oder Ruhpolding, vor unbekanntem Publikum weit weg von zuhause oder gar vor leeren Rängen während der Corona-Pandemie – inwiefern beeinflusst das Publikum die Leistung im Biathlon tatsächlich? Diese Fragen haben sich zwei Forschungsgruppen aus Deutschland, Norwegen und Großbritannien gestellt und Wettkampfdaten von Weltcups, Weltmeisterschaften und olympischen Spielen ausgewertet.

Dabei wurden Wettkampfergebnisse (Lauf- und Schießleistungen) während der Corona-Pandemie ohne Publikum mit den entsprechenden Wettkämpfen am gleichen Ort vor der Pandemie mit Publikum verglichen (Heinrich et al., 2021). Die Analysen zeigten deutliche und überraschende Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Die männlichen Biathleten liefen vor Publikum schneller als vor leeren Rängen, zeigten jedoch beim Schießen vor Zuschauer*innen Leistungseinbußen. Die weiblichen Biathletinnen hingegen liefen in Anwesenheit von Publikum langsamer, schossen dafür aber durchschnittlich ca. eine Sekunde schneller und zeigten zumindest im Sprint auch eine ca. fünf Prozent höhere Trefferleistung.

In einer weiteren Studie wurden Wettkampfergebnissen über 16 Jahre analysiert, um die Effekte von Heim- und Auswärtspublikum zu untersuchen. Dabei ließ sich feststellen, dass im Weltcup top platzierte Biathlet*innen vor Heimpublikum eine signifikant geringere Trefferleistung zeigten als bei Wettkämpfen in anderen Ländern, während weniger gut platzierte Athlet*innen stabil blieben (Harb-Wu & Krumer, 2019). Die hohen Erwartungen der heimischen Fans nehmen also ausschließlich auf die erfolgreichen Sportler*innen einen negativen Einfluss.

Der Einfluss von (Heim-)Publikum auf die Schieß- und Laufleistung im Biathlon

  • Negativer Einfluss von Heimpublikum auf die Schießleistung erfolgreicher Biathlet*innen
  • Der Einfluss von Publikum (Anwesenheit vs. Abwesenheit) scheint sich zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden
  • Männer laufen vor Publikum schneller, zeigen jedoch längere Schießzeiten und geringere Trefferleistungen
  • Frauen laufen vor Publikum langsamer, schießen jedoch schneller bei gleichzeitiger höherer Trefferleistung
  • Einfluss von (Heim-)Publikum somit abhängig vom Erfolg, vom Geschlecht und von der Aufgabe (Schießen vs. Laufen)

Hintergrund

Die biathlonbegeisterten deutschen Fans pilgern zu tausenden zu den Heimweltcups, die Biathlet*innen selbst äußern vor den großen Events in Oberhof und Ruhpolding sowohl Freude als auch Respekt vor der Erwartungshaltung der jubelnden Massen – und in Coronazeiten waren die Athlet*innen plötzlich mit leeren Rängen und fehlenden Zuschauer*innen konfrontiert. Hat in dieser Situation durch das fehlende Publikum der extra Motivationskick gefehlt, oder waren die Athlet*innen vielleicht erleichtert, mal ohne AAHs und OOhs am Schießstand zu stehen und zeigten sogar bessere Leistungen? Und inwiefern macht es einen Unterschied, ob der Wettkampf vor Heimpublikum stattfindet?

Auf Grundlage bisheriger Forschung zum Einfluss von Zuschauer*innen geht man davon aus, dass sich die Leistung bei konditionellen sportlichen Aufgaben durch die Anwesenheit von Publikum eher verbessert, während es bei koordinativen Aufgaben eher zu Leistungseinbußen kommt [1]. Übertragen auf Biathlon würde das bedeuten, dass die Leistung im Skilanglauf von Zuschauer*innen profitiert, während das Publikum am Schießstand eher einen Störfaktor darstellt. Die Publikumsbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie boten nun die Gelegenheit, dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Methodische Herangehensweise

Auch wenn die Publikumsbeschränkungen der Corona-Pandemie die begeisterten Biathlonfans und die Ausrichter der Events hart getroffen haben, boten sie die einmalige Möglichkeit, der Einfluss von Zuschauer*innen auf die Leistung der Biathlet*innen unter realen Bedingungen zu untersuchen. So verglich eine deutsche Forschungsgruppe Lauf- und Schießleistungen in Abwesenheit von Zuschauer*innen (März 2020) mit den Leistungen der gleichen Biathlet*innen bei den Wettkämpfen am gleichen Ort, die in der vorausgegangenen Saison (2018/19) vor Publikum ausgetragen wurden. Dabei wurden die Wettkampfdaten von vier Sprintwettkämpfen in Nové Město na Moravě und Kontiolahti (83 Biathlet*innen) und zwei Massenstartwettkämpfen in Nové Město na Moravě (34 Biathlet*innen) analysiert. Da sich u.A. die Streckenlänge zwischen Männern und Frauen unterscheiden, wurde bei der Analyse zwischen Männern und Frauen unterschieden.

Während sich diese Studie mit der An- bzw. Abwesenheit von Publikum beschäftigt, stellten sich Forschende einer norwegischen und britischen Universität die Frage, inwiefern heimische Fans die Leistung im Biathlon beeinflussen. Zu diesem Zweck analysierten sie von der IBU bereitgestellte Wettkampfdaten im Zeitraum 2001 bis 2017. Die Daten umfassten 144 Weltcupevents, 12 Weltmeisterschaften und 4 olympische Spiele (Salt Lake City, Vancouver und Sochi). Da Sprintrennen das am häufigsten durchgeführte Wettkampfformat darstellt, konzentrierten sich die Wissenschaftler*innen vor allem auf die Sprints und analysierten die Leistungen von insgesamt 220 männlichen und 217 weiblichen Biathlet*innen bei Sprintrennen, die in Summe 8262 (männlich) bzw. 6540 Mal (weiblich) bei verschiedenen Wettkämpfen teilnahmen. Die einzelnen Athlet*innen liefen davon ca. 10 % der Wettkämpfe vor jeweils heimischen Publikum. In der Folge wurden sowohl Treffer- als auch Laufleistungen der Biathlet*innen vor Heimpublikum (d.h. im eigenen Land) und vor auswärtigem Publikum (d.h. in einem anderen Land) ausgewertet. Dabei wurden außerdem die Gesamtweltcuppunkte der jeweiligen Saison berücksichtigt, um Unterschiede zwischen erfolgreicheren und weniger erfolgreicheren Biathlet*innen aufdecken zu können.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass der Einfluss des Publikums wie erwartet [1] von der sportlichen Aufgabe selbst abhängt und sich somit zwischen Skilanglauf (v.a. konditionelle Anforderungen) und Biathlonschießen (v.a. koordinative Anforderungen) unterscheidet. Zusätzlich scheint der Publikumseffekt jedoch vom Geschlecht der Sportler*innen abzuhängen:

So zeigen Männer in Anwesenheit von Publikum Leistungssteigerungen im Skilanglauf (d.h. schnellere Laufzeiten) und Leistungseinbußen bei der koordinativen Aufgabe (d.h. längere Schießzeiten und geringere Trefferleistung). Die Ergebnisse der Frauen hingegen weisen ein genau umgekehrtes Muster auf, da sie vor Zuschauern langsamer laufen, jedoch genauer und schneller Schießen als in Abwesenheit von Zuschauern. Auch wenn das Studiendesign keine Kontrolle über externe Einflussfaktoren (z.B. Witterung, Schneeverhältnisse) erlaubt, zeigt sich in jedem Wettkampf – unabhängig vom Ort des Wettkampfes und vom Wettkampfformat – der gleiche Effekt, weshalb die Ergebnisse aus statistischer Sicht als robust angesehen werden.

Die Frage, ob heimische Fans einen anderen Einfluss auf die Biathlonleistung nehmen als die Zuschauer*innen in einem Land, das nicht das Heimatland ist, scheint wieder von der Aufgabe abzuhängen. Während sich hier keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen finden lassen, hängt der Effekt des Heimpublikums jedoch zusätzlich vom Erfolg der Sportler*innen in der jeweiligen Saison ab:

Biathlet*innen, die im Gesamtweltcup des jeweiligen Jahres weit vorne liegen (d.h. unter den ersten 25 %), verfehlen vor heimischen Zuschauer*innen mehr Scheiben und zeigen damit eine signifikant geringere Trefferleistung verglichen mit Wettkämpfen vor nicht-heimischem Publikum. Schlechter platzierte Sportler*innen hingegen bleiben in ihrer Trefferleistung stabil und können ihre Laufleistung vor heimischen Fans sogar steigern.

Diskussion

Beide Studien zeigen, dass (Heim-)Publikum einen Einfluss auf die Biathlonleistung zu nehmen scheint. Aktuell kann man nur spekulieren, weshalb sich die Publikumseffekte zwischen Männern und Frauen so stark unterscheiden. Ein Anhaltspunkt ist, dass der Einfluss der Anwesenheit Anderer in der Vergangenheit primär bei Männern untersucht wurde – und die männlichen Biathleten dem entsprechen, was bisherige Studien vorhersagen würden: Leistungssteigerungen in Anwesenheit von Publikum bei Konditionsaufgaben (Laufen) und Leistungseinbußen vor jubelnden Fans in Bezug auf koordinative Aufgaben (Schießen).

Für alle Biathlet*innen ist es zu empfehlen, das Laufen und Schießen wenn möglich auch vor Publikum zu trainieren und sich mit Hilfe der Trainer*innen oder auch mit Unterstützung von Sportpsycholog*innen auf die besondere Situation von Wettkämpfen vor vielen Zuschauer*innen vorzubereiten. Hier scheint es besonders wichtig, dass sich männliche Athleten auf das Schießen vor Publikum konzentrieren, während die Frauen beim Laufen vor Publikum noch Entwicklungspotential haben. Vor allem für top platzierte Sportler*innen scheint der Druck am Schießstand des Heimweltcups besonders hoch zu sein, was sich in geringerer Trefferleistung auswirkt. Eine optimale mentale Vorbereitung ist auch hier von besonderer Bedeutung, während sich die schlechter platzierten Sportler*innen hingegen auch in Zukunft von den heimischen Fans pushen lassen sollten.

Die Inhalte basieren auf den Originalartikeln "Selection bias in social facilitation theory? Audience effects on elite biathletes’ performance are gender-specific", der 2021 in „Psychology of Sport and Exercise" veröffentlicht wurde & "Choking under pressure in front of a supportive audience: Evidence from professional biathlon", aus „Journal of Economic Behavior & Organization" von 2019

Quellen

Heinrich, A., Müller, F., Stoll, O., & Cañal-Bruland, R. (2021). Selection bias in social facilitation theory? Audience effects on elite biathletes’ performance are gender-specific. Psychology of Sport and Exercise, 55, 101943. https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2021.101943

Harb-Wu, K., & Krumer, A. (2019). Choking under pressure in front of a supportive audience: Evidence from professional biathlon. Journal of Economic Behavior & Organization, 166, 246-262.

  1. Strauss, B. (2002). Social facilitation in motor tasks: a review of research and theory. Psychology of Sport and Exercise, 3, 237-256.
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