Leistungsreserve Oberkörper – schieben bis der Trizeps platzt?
Von Lucas Worth
Im Skilanglauf spielt die Ausdauerleistungsfähigkeit des Oberkörpers in allen Techniken vor allem aber bei der Doppelstocktechnik eine wichtige Rolle. In der vorliegenden Studie wurde mit 6 gut trainierten Skilangläufern über 20 Wochen ein erhöhter Anteil (im Vergleich zur Vorsaison) an Ausdauertraining in Doppelstocktechnik für den Oberkörper durchgeführt. Untersucht wurde der hintere Anteil der Oberarmmuskulatur (Trizeps).
Hierbei konnten positive Anpassungen in den für die Ausdauerleistungsfähigkeit besonders relevanten Muskelfasern Typ1 und Typ2A festgestellt werden. Auch die Zeit bei einem 10km Time-Trial in Doppelstocktechnik wurde deutlich schneller. Bei den schlussendlich leistungsstärkeren Athleten wurden auch stärkere Anpassungen in der Muskulatur festgestellt. Insgesamt konnten ähnliche Entwicklungen aufgezeigt werden, wie bei einem vergleichbaren Training der Beinmuskulatur.
Spezifisches Ausdauertraining statt Krafttraining - 20 Wochen Ausdauertraining für den Oberkörper und die Auswirkungen auf Muskulatur und Leistung
- Selbst bei sehr gut trainierten Langläufern kann der Oberkörper im Vergleich zum Unterkörper noch viel Potenzial für Anpassungen bezüglich der Ausdauerleistungsfähigkeit aufzeigen.
- Die Muskulatur im Oberkörper zeigt ähnliche Anpassungen auf einen Ausdauerreiz wie die Beinmuskulatur.
- Regelmäßige aerobe Einheiten (1-1,5h; Anstiege erfordern hohen Kraftaufwand & sind daher intensiver) mit Rollskiern in überwiegend Doppelstocktechnik können daher zu einer sehr guten ausdauerspezifischen Entwicklung des Oberkörpers und verbesserter Leistung führen.
Hintergrund
Neben der Ausdauerleistungsfähigkeit der Beine spielt auch der Oberkörper eine entscheidende Rolle für die Leistung im Skilanglauf [1]. Für die Skatingtechnik gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen der Laufgeschwindigkeit im Wettkampf und Leistungsfähigkeit in der Doppelstocktechnik [2,3]. Und bei der Doppelstocktechnik ist vor allem die Leistungsfähigkeit der Trizepsmuskulatur mitentscheidend [4]. Häufig wird daher auch intensives Krafttraining genutzt, um Anpassungen (z.B. Hypertrophie) in der Schulter- und Armmuskulatur zu erzielen [5]. Vorherige Untersuchungen beim Skilanglaufen mit hohem LIT und geringeren MIT/HIT Anteil über einen Zeitraum von 4-8 Wochen konnten nur geringe ausdauerrelevanten Veränderungen im Trizeps feststellen [6]. Fraglich ist daher, ob nicht nur die Dauer der Belastung, sondern viel mehr auch die Intensität und Art des Trainings entscheidend für eine Anpassung ist.
Methodische Herangehensweise
6 sehr ausdauertrainierte, männliche Langläufer (Alter: 19±1; VO2max: 76,3±2,0 ml·min-1·kg-1) nahmen an der Studie teil. Alle hatten mindestens 6 Jahre Wettkampferfahrung.
Die 4 Wochen vor der Intervention setzten sich aus 2 Wochen Regeneration nach Ende der letzten Saison und 2 Wochen regulärem Training zusammen. Der darauffolgende Zeitraum der Trainingsintervention dauerte 20 Wochen (Mai-Oktober). Der Schwerpunkt sollte insgesamt auf das Training mit Rollski, vor allem in Doppelstocktechnik gelegt werden, um so den Trizeps mehr zu belasten. Dreimal pro Woche führten die Athleten ein Training auf Rollskiern durch und wurden instruiert nur in Doppelstocktechnik zu fahren. Die Strecke wurde standardisiert und durch das variierende Terrain gab es auch bergauf Passagen, die höhere Leistungen von den Athleten abverlangten. Pro Einheit wurden 1-1,5h bei 75-90% der maximalen Herzfrequenz (Hfmax) trainiert. Zusätzlich wurde zwei- bis dreimal wöchentlich eine LIT Laufeinheit (60-75% der Hfmax) mit einer Dauer von 1-3h absolviert. Weiterhin wurde eine HIT Laufeinheit (5x5min mit 3min Pause bei 85-90% der Hfmax) in die Woche integriert. Ein Kraftzirkel für die Rumpfkraft wurde zweimal wöchentlich á 15min durchgeführt. Alle Trainingseinheiten wurden von zwei erfahrenen Langlauftrainern begleitet und angeleitet. Insgesamt stieg das Gesamtvolumen des Trainings im Vergleich zum Vorjahr um 14% (475h vs. 542h). Vor allem aber der Anteil der absolvierten Stunden auf der Rollskiern wurde um 63% deutlich gesteigert (91h vs. 148h).
Messungen
Vor der Intervention wurde die VO2max der Athleten bei einem Bergauf Test auf Rollskiern gemessen. Vor und nach der Intervention wurden Muskelbiopsien vom Trizeps und der Oberschenkelvorderseite (m. vastus lateralis) entnommen und auf die Muskelfaserzusammensetzung, Kapillarisierung und Enzymaktivitäten getestet, um daraus Rückschlüsse auf mögliche Anpassungen und die Ausdauerleistungsfähigkeit zu ziehen. Weiterhin wurde die grundsätzliche Muskelfaserverteilung erfasst. Abschließend wurde die Leistung auch im Feld durch einen simulierten Testwettkampf (TT) erhoben. Hierbei wurden 10000m in flachem Terrain auf Rollskiern in Doppelstocktechnik auf Zeit durchgeführt.
Ergebnisse
Muskelfasern
Es werden normalerweise drei Muskelfasertypen unterschieden: Typ 1, Typ 2A und Typ 2X (Tabelle 1).
Eigenschaft | Muskelfasertypen | ||
Typ 1 - Langsam | Typ 2A - schnell | Typ 2X - schneller | |
Aerobe (oxidative) Kapazität | hoch | mittel | niedrig |
Anaerobe (glykolytische) Kapazität | niedrig | hoch | am höchsten |
Kreatinphosphat | niedrig | hoch | am höchsten |
Pufferkapazität | niedrig | am höchsten | hoch |
Laktatabtransport | niedrig | am höchsten | hoch |
Kapillare pro Faser | hoch | mittel | niedrig |
Myoglobin Gehalt | hoch | hoch | niedrig |
Glykogen Gehalt | niedrig | mittel | hoch |
Fett Gehalt | hoch | mittel | niedrig |
Kontraktionsgeschwindigkeit | langsam | schnell | am schnellsten |
Kontraktionskraft | niedrig | hoch | am höchsten |
Kraft | niedrig | hoch | am höchsten |
Fasern pro Motorische Einheit | < 300 | > 300 | > 300 |
Ermüdungsresistenz | hoch | mittel/hoch | niedrig |
Die grundsätzliche Faserverteilung blieb über die 20 Wochen nahezu unverändert. Einzig der bereits sehr geringe Anteil von 0,5% an Typ 2X, welche eher hinderlich für die Ausdauerleistung sind, wurde durch das Training im Trizeps auf 0% reduziert. Anstatt eine Veränderung der der Faserverteilung, also einen kompletten Fasershift zu bewirken, veränderte das Training die Zusammensetzung der einzelnen Fasern. So konnten nach der Intervention eine Verschiebung in Richtung der Eigenschaften des Typ 2A festgestellt werden, sowohl von Typ1 als auch von Typ2X. Auch der Querschnitt vor allem der Fasertypen 1 (+11%) und 2A (+24%) wurden deutlich erhöht. Dies verdeutlicht, dass ausdauerrelevante Hypertrophie nicht nur durch intensives Krafttraining, sondern auch durch ein spezifisches Ausdauertraining erzielt werden kann [7]. Insgesamt können diese Veränderung in Richtung der Typ 2A Fasern durch die teilweise doch höhere Intensität des Trainings in ausschließlich Doppelstocktechnik erklärt werden. Auch wenn das Doppelstocktraining grundsätzlich als Ausdauertraining geplant war, so ist davon auszugehen, dass an den Anstiegen ein deutlich höherer Kraftaufwand und damit Intensität nötig gewesen ist. Typ 2A Fasern können im Vergleich zu den Typ1 Fasern aber auch die motorischen und energetischen Anforderungen von höheren Intensitäten besser erfüllen [8]. Für das Langlaufen auf variierendem Terrain und möglichen Attacken im Wettkampf also eine positive Anpassung.
Kapillarisierung und Enzymaktivität
Die Kapillarisierung im Trizeps wurde durch das Training ebenfalls um ca. 15% erhöht, was schlussendlich für einen erhöhten Blutfluss in der Muskulatur und somit die Sauerstoffversorgung des Muskels verbessert. Auch die Aktivität aerober Enzyme, welche als Marker für die Leistungsfähigkeit der Mitochondrien genutzt werden, zeigte sich im Trizeps und Oberschenkel gleichermaßen erhöht.
Leistung im TT
Die Leistung aller Athleten im TT in Doppelstocktechnik verbesserte sich über den Interventionszeitraum deutlich (30:06min vs. 26:59min). Über 3min Verbesserung (10%!) auf diesem Leistungsniveau verdeutlicht, wie viel Potenzial in einem Ausdauertraining für den Oberkörper steckt.
Genetischer Einfluss?
Interessanterweise verbesserten sich durch das 20-wöchige Oberkörpertraining die zu Beginn leistungsstärksten Athleten mit den höchsten VO2max Werten am meisten. Dies betrifft die Leistung im TT, die Kapillarisierung, den Querschnitt und die Eigenschaften der Typ 2A Fasern. Dies steht im Gegensatz zu den üblichen Ergebnissen, da die größten Effekte häufig bei den eher leistungsschwächeren Athleten festgestellt werden. Dementsprechend stellt sich hier die Frage nach genetischen Einflüssen und dem „Talent“ [9]. Es scheint so, dass vor allem Athleten die bereits eine hohe Ausdauerleistungsfähigkeit haben, ein größeres Verbesserungspotential in der Trizeps Muskulatur besitzen. Ein deutlich höherer Anteil an spezifischem Doppelstocktraining (auch bergauf) könnte also vor allem für die sehr guten Athleten einen effektiven Trainingsreiz darstellen.
Limitationen
Es ist zu berücksichtigen, dass in dieser Studie nur Männer getestet wurden und auch die Probandenanzahl (6) sehr klein war, was zu abweichenden Ergebnissen bei höherer Probandenanzahl führen kann. Zudem ist die angegebene Trainingszeit während des Untersuchungszeitraums (Juni – Oktober) mit im Schnitt ca. 27h pro Woche sehr hoch und passt nicht mit den aufgelisteten Trainingseinheiten überein. Dieser hohe Umfang könnte ein Grund für die vergleichsweise großen Anpassungen (5-10%) sein.
Fazit
Da Oberkörperleistungsfähigkeit und Skating-Performance im Wettkampf zusammenhängen, ist Doppelstocktraining vielleicht nicht nur für die Spezial-Langläufer*innen interessant. Auch wenn es bei dieser Studie einige Limitationen zu beachten gilt, so wird deutlich, dass es hinsichtlich des Trizeps/Oberkörpers auch bei bereits sehr leistungsfähigen Athleten noch großes Verbesserungspotential zu geben scheint. Gezieltes Doppelstocktraining könnte dieses Verbesserungspotential durch spezifische Anpassungen in der beanspruchten Muskulatur hervorrufen.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Upper body training and the triceps brachii muscle of elite cross country skiers", die 2006 im „Scandinavian journal of medicine & science in sports" veröffentlicht wurde.
Quellen
Terzis, G., Stattin, B., & Holmberg, H. C. (2006). Upper body training and the triceps brachii muscle of elite cross country skiers. Scandinavian journal of medicine & science in sports, 16(2), 121–126. https://doi.org/10.1111/j.1600-0838.2005.00463.x
- Saltin, B. (1997). The physiology of competitive cc skiing across a four decade perspective; with a note on training induced adaptations and role of training at medium altitude (p. 435). na.
- Rundell, K. W. and Charach, D. W. (1995). Physiological characteristics and performance of top U.S. biathletes. Medicine & Science in Sports & Exercise, 27(9), 1302. https://doi.org/10.1249/00005768-199509000-00010
- Talsnes, R. K., Solli, G. S., Kocbach, J., Torvik, P.-Ø. and Sandbakk, Ø. (2021). Laboratory- and field-based performance-predictions in cross-country skiing and roller-skiing. PLOS ONE, 16(8), e0256662. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0256662
- Smith, G. A., Fewster, J. B., & Braudt, S. M. (1996). Double Poling Kinematics and Performance in Cross-Country Skiing, Journal of Applied Biomechanics, 12(1), 88-103. Retrieved May 6, 2022, from https://journals.humankinetics.com/view/journals/jab/12/1/article-p88.xml
- Tesch, P. A., & Larsson, L. (1982). Muscle hypertrophy in bodybuilders. European journal of applied physiology and occupational physiology, 49(3), 301–306. https://doi.org/10.1007/BF00441291
- Schantz, P., Henriksson, J., & Jansson, E. (1983). Adaptation of human skeletal muscle to endurance training of long duration. Clinical physiology (Oxford, England), 3(2), 141–151. https://doi.org/10.1111/j.1475-097x.1983.tb00685.x
- Andersen, J. L., Klitgaard, H., Bangsbo, J., & Saltin, B. (1994). Myosin heavy chain isoforms in single fibres from m. vastus lateralis of soccer players: effects of strength-training. Acta physiologica Scandinavica, 150(1), 21–26. https://doi.org/10.1111/j.1748-1716.1994.tb09655.x
- Myburgh K. H. (2003). What makes an endurance athlete world-class? Not simply a physiological conundrum. Comparative biochemistry and physiology. Part A, Molecular & integrative physiology, 136(1), 171–190. https://doi.org/10.1016/s1095-6433(03)00220-4
- Saltin, B., Hartley, L. H., Kilbom, A., & Astrand, I. (1969). Physical training in sedentary middle-aged and older men. II. Oxygen uptake, heart rate, and blood lactate concentration at submaximal and maximal exercise. Scandinavian journal of clinical and laboratory investigation, 24(4), 323–334. https://doi.org/10.3109/00365516909080169
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