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Studie

Die physiologische Ausgangssituation zum Sprung in die Spitze

Von Yannick Schwarz

Auf der Suche nach physiologischen und anthropometrischen Prädiktoren für späteren Erfolg im Langlaufen, wurden Leistungsdaten von 14 italienischen Langläufern und 9 Langläuferinnen vom späten Jugendalter (17-18 Jahre) bis ins Erwachsenenalter (19 - 22 Jahre) ausgewertet.

Bei männlichen Athleten wurden im späten Jugendalter noch körperliches Wachstum (Körpergröße, -gewicht, BMI) registriert. Parallel zum körperlichen Wachstum steigerte sich auch die submaximal VO2. Bei Frauen war dies nicht der Fall. Männliche Athleten, die später in den Nationalkader aufgenommen wurden besaßen im Alter von 17 bis 18 höhere Werte der absoluten VO2max und VO2 an der anaeroben Schwelle (AS), sowie eine höhere maximale Ventilation. Eine Hohe AS und relative VO2max im späten Jugendalter kennzeichnen erfolgreiche Langläuferinnen.

Nach Eintritt ins Erwachsenenalter blieben maximale Parameter für beide Geschlechter konstant, während es durch die Verbesserung submaximaler Messwerte zur weiterführenden Entwicklung der Leistungsfähigkeit kam.

Talentsichtung auf Basis physiologischer und anthropometrischer Parameter im späten Jugendalter

  • Während körperliches Wachstum bei Langläuferinnen im Alter von 17 bis 18 Jahren schon abgeschlossen ist, ist bei Langläufern in diesem Zeitraum ein finaler Anstieg der Körpergröße, -gewicht und BMI zu verzeichnen.
  • Parallel zur körperlichen Entwicklung steigt im späten Jugendalter bei Männern auch die Sauerstoffaufnahme bei submaximalen Intensitäten und an der anaeroben Schwelle, während die Herzfrequenz an der anaeroben Schwelle abnimmt. Bei Langläuferinnen ist in diesem Zeitraum ebenfalls ein Abfall der HF an der AS und ein Anstieg der relativen VO2max, zu beobachten.
  • Hohe Ausgangswerte der absoluten VO2max, maximale Ventilation und VO2 bei submaximaler Intensität und an der AS im späten Jugendalter, dienen als Prädiktor für späteren sportlichen Erfolg für Langläufer.
  • Bei der Talentauswahl von Langläuferin im Alter zwischen 17 und 18 Jahren sind eine hohe relative VO2max und AS Grundsteine für eine erfolgreiche Karriere im Erwachsenenalter
  • Die Entwicklung der Leistungsfähigkeit (AS) im Erwachsenenalter wurde durch die Verbesserung submaximaler (Ökonomie, HF, %VO2max) und nicht der maximalen Messgrößen (VO2max, max. Ventilation, HFmax) geprägt.

Talentsichtung auf Basis physiologischer Parameter im späten Jugendalter

Der Begriff „Talent“ wird im Sport als Potential eines Athleten definiert, zukünftig sportliche Spitzenleistungen zu erzielen und die Identifizierung eines Talents basiert in der Regel auf einer bereits hohen Leistungsfähigkeit im Jugendalter. Entsprechend erfolgt die Talentauswahl meist auf Basis anthropometrischer Merkmale oder Wettkampfleistungen aber selten werden objektive und messbare Kriterien genutzt, die das Entwicklungspotential von Sportlern abbilden [1]. Eine der Ursachen für diese Praxis ist oft ein Mangel an soliden Prädiktoren für spätere Leistungsentwicklung.

Auf der Suche nach solchen Prädiktoren für den Langlaufsport haben Chiara Zoppirolli und ihr Team rückwirkend Testdaten von 14 männlichen und neun weiblichen Athlet*innen analysiert, die im späten Jugendalter (17 bis 18 Jahre) dem italienischen Regionalkader angehörten und in dieser Zeit mind. zwei Leistungstest absolvierten. Aus dieser Auswahl wurden vier Langläufer und drei Langläuferinnen, die nachfolgend in den Nationalkader rekrutiert wurden, als Talente identifiziert. Die Talente absolvierten mindestens vier weitere Leistungstests während der nachfolgenden Jahre (19 - 22 Jahre) im Nationalkader.

Bei allen eingeschlossenen Leistungstests wurde nach standardisiertem Protokoll ein Stufentest bis Ausbelastung durchgeführt. Die Sportler*innen absolvierten die Testung auf einem Laufband mit Rollski in Diagonaltechnik. Nach einem Warm-Up bei zehn (männl.) bzw. neun (weibl.) km/h und einer Steigung von zwei Grad, wurde die Steigung alle drei Minuten um ein Grad bis zur Ausbelastung gesteigert. Nach jeder Stufe wurde das Laufband für 30sek gestoppt, um Blut zur Bestimmung der Laktatkonzentration abzunehmen. Während des gesamten Tests wurden zusätzlich O2-Aufnahme und CO2-Abgabe mittels Spirometrie erhoben. Die anaerobe Schwelle wurde als ventilatorische Schwelle bestimmt. Anders als bei der Bestimmung über Laktatkonzentrationen werden dazu Kriterien aus den spirometrischen Daten angelegt, um den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem die anaerobe Energiebereitstellung stark ansteigt.

Zur Bestimmung möglicher Prädiktoren für späteren sportlichen Erfolg wurde betrachtet für welche der ausgewählten physiologischen Parameter männliche und weibliche Talente im Alter von 17 bis 18 unter den besten 25 Prozent lagen. Zusätzlich wurde die Entwicklung zwischen den beiden Testungen im späten Jugendalter beobachtet, um mögliche Alterseffekte zu identifizieren.

Die Ergebnisse:

  • Anthropometrie (Körpermaße): Beimännlichen Athleten wurde vom 17. bis 18. Lebensjahr noch eine Zunahme der Körpergröße, -gewichts und des BMI festgestellt. In den anschließenden Jahren wurde kein weiteres Wachstum registriert. Bei Athletinnen scheint die körperliche Wachstumsphase mit dem Alter von 17 Jahren schon abgeschlossen zu sein, da keine Veränderung zwischen 17 und 18 Jahren beobachtet wurde (Tab. 2). Anthropometrische Merkmale sind keine soliden Prädiktoren für späteren sportlichen Erfolg von Langläufer*innen.
     
  • Physiologische Parameter (maximal): Athleten mit späterem Erfolg lagen schon im späten Jugendalter unter den besten 25% im Regionalkader für Parameter der absoluten VO2max, absoluten VO2 an der AS und maximale Ventilation. Bei erfolgreichen Langläuferinnen trifft dies bei den maximalen Parametern für die relative VO2max zu (Tab. 1). Diese steigt jedoch im Alter von 17 bis 18 Jahren noch an, während die maximale Herzfrequenz abnimmt.
     
  • Physiologische Parameter (submaximal): Neben den maximalen Kapazitäten unterliegen auch submaximale Parameter wachstumsbedingten Veränderungen. Die absolute VO2 von Langläufern steigt bei submaximalen Intensitäten noch bis zum Alter von 18 Jahren an. Gleichzeitig zeigte sich, dass Talente über eine besonders hohe absolute VO2 bei diesen submaximalen Intensitäten und an der AS besitzen. Wie bei Männern sinkt die Herzfrequenz an der AS bei jungen Athletinnen bis 18 Jahre (Tab. 2). Die benötigte Zeit (im Testprotokoll) bis zur anaeroben Schwelle stellt bei ihnen, anders als bei Männern einen Prädikator für späteren Erfolg dar.
     
  • Entwicklung später erfolgreicher Athleten: Sowohl männliche und weiblicheTalente entwickelten sich nach Eintritt in den Nationalkader primär durch die Verbesserung submaximaler Parameter. Sie verbesserten ihre sportspezifische Leistungsfähigkeit, gemessen an der Zeit bis zur AS, durch verbesserte Ökonomie bei submaximalen Intensitäten, während maximale Kapazitäten stabil blieben (Tab 3.). Verringerte Ausschöpfung der VO2max und niedrigere Herzfrequenz im submaximalen Bereich unterstreichen diese Entwicklung.

Talentauswahl unter Berücksichtigung wachstumsbedingter Veränderungen

In einigen Sportarten (u.a. Rudern, Volleyball etc.) werden Talente nach anthropometrischen Merkmalen ausgewählt. Bei dieser Art der Selektion besteht besonders die Gefahr, junge Athlet*innen auszuwählen, die sich durch früheres körperliches Wachstum einen Vorteil gegenüber ihren Altersgenossen verschaffen [2]. Eine Auswahl im Sinne späterer sportlicher Entwicklung ist so nicht zwingend gegeben. Die Ergebnisse von Zoppirolli zeigen, dass dieses Phänomen besonders bei Männern bis zum Alter von 18 Jahren zu berücksichtigen ist. Der mit dem Wachstum verbundene Zuwachs von Muskelmasse könnte die parallel stattfindende Zunahme der absoluten VO2 bei submaximalen Intensitäten erklären.

Talente auf Basis physiologischer Charakteristiken auswählen

Wie Zoppirolli und Kollegen zeigen konnten, ist es auch die absolute VO2 an der AS, absolute VO2max und maximale Ventilation, die bei jungen Langläufern solide Prädiktoren für späteren Erfolg darstellen. Sie vermuten, dass sich die hohe muskuläre Aktivierung und aerobe Beanspruchung des gesamten Körpers im Spitzenlanglauf in diesem Prädikator offenbart.

Tabelle 1. Parameter zur Talentidentifikation im Alter von 17 bis 18 Jahren

FrauenMänner
 
ParameterBenchmark
VO2max (rel)59,0 ml·min-1·kg-1
 
 
ParameterBenchmark
VO2max (abs)4,9 l·min-1
max. Ventilation198 l·min-1
VO2 an AS4,3 l·min-1
 

Bei jungen Frauen eigenen sich diese Parameter hingegen nicht als Selektionskriterien für Talente. Bessere Chancen auf späteren Erfolg haben Athletinnen durch eine bereits hohe relative VO2max und AS im späten Jugendalter.

Tabelle 2. Parameter die sich im Alter von 17 bis 18 Jahren verändern

FrauenMänner
 
ParameterRichtung
VO2max (rel)
HF (max)
HF (AS)
 
 
ParameterRichtung
Größe, Gewicht, BMI
VO2 an AS
VO2 bei 6°
HF an AS
 

Talent identifiziert – wie entwickeln sich aufstrebende Athleten nach dem Jugendalter?

Ebenfalls interessant ist die Analyse der physiologischen Entwicklung der Talente nach Aufnahme in den Nationalkader bzw. nach dem Alter von 18 Jahren. Diese Beobachtung hilft Trainern, die Leistungsfähigkeit ihrer Talente nach dem Jugendalter weiterzuentwickeln.

Talente beider Geschlechter konnten im Erwachsenenalter ihre AS steigern und somit ihre Leistungsfähigkeit weiterentwickeln. Auffällig ist jedoch, dass die VO2max, die von großer Relevanz für die Wettkampfleistung im Langlaufen ist [3], für Langläufer*innen nach dem Jugendalter nicht mehr steigt. Übereinstimmend damit, wurde bei Untersuchungen an norwegischen Elite-Langläufern keine Veränderung der VO2max im Saisonverlauf gemessen [4]. Optimierung der AS im Erwachsenenalter sind also auf die Verbesserung submaximaler physiologischer Charakteristiken (Ökonomie, %VO2max, HF) zurückzuführen. Über ähnliche Entwicklungen wurde bereits, wie im Fall der ehemaligen Marathon-Weltrekordhalterin Paula Radcliff, berichtet [5].

Tabelle 3. Parameter die sich in selektierten Talenten nach dem Alter von 17 bis 18 Jahren verändern

FrauenMänner
 
ParameterRichtung
AS
Bewegungsökonomie
% VO2 (submax.)
HF (submax.)
%HFmax (submax.)
 
 
ParameterBenchmark
AS
Bewegungsökonomie
% VO2 (submax.)
HF (submax.)
%HFmax (submax.)
 

Die gesammelten Erkenntnisse unterstützen die These, dass Athleten eine individuelle Trainierbarkeit der VO2max besitzen, die irgendwann ausgeschöpft sein kann. Weitere Anstiege der Leistungsfähigkeit werden dann primär durch die Verbesserung submaximaler Parameter erzielt [5]. Durch regelmäßige Testungen im Jugend- und Erwachsenenalter, sollten diese Entwicklungen beobachtet und entsprechende Entscheidungen für die Trainingsgestaltung getroffen werden (siehe auch Rosenblat 2021 & Toennessen 2020).

Limitationen

Die präsentierte Studie ist die erste Untersuchung, die Leistungsentwicklung im Langlaufen im Längsschnitt betrachtet. Sie liefert erste Trends, muss auf Grund ihrer limitierten Probandenzahl jedoch mit Bedacht interpretiert werden. Weitere Studien sollten durchgeführt werden, um die präsentierten Prädiktoren zu bestätigen und weitere zu identifizieren. Außerdem ist zu beachten, dass die präsentierten Ergebnisse aus einer ausgewählten Region stammen und das Leistungsniveau dieser konkreten Athletenauswahl beschreibt. So liegen die präsentierten Richtwerte beispielsweise niedriger als Ergebnisse schwedischer Junioren [6]. Überdies wurden bei erwachsenen Elite-Langläufern schon deutlich höhere Werte der VO2max (< 6,5 l/min) berichtet [3]. Ob diese schon im Jugendalter erreicht wurde ist leider nicht bekannt. Genannte Abweichungen zu anderen Studien können auch durch Unterschiede in der Langlauftechnik und Belastungsprotokoll entstehen [7]. Zuletzt ist zu erwähnen, dass die Entwicklung konkreter physiologischer Charakteristika durch spezifische Trainingsgestaltung beeinflussbar ist. Unterschiedliche Trainingsansätze könnten daher potenziell zu anderer Ausprägung der untersuchten Parameter führen.

Die Inhalte basieren auf dem Originalartikel "Talent Development in Young Cross-Country Skiers: Longitudinal Analysis of Anthropometric and Physiological Characteristics", der 2020 in „Frontiers in Sports and Active Living" veröffentlicht wurde.

Quellen

Zoppirolli, C., Modena, R., Fornasiero, A., Bortolan, L., Skafidas, S., Savoldelli, A., Schena, F., & Pellegrini, B. (2020). Talent Development in Young Cross-Country Skiers: Longitudinal Analysis of Anthropometric and Physiological Characteristics. Frontiers in Sports and Active Living, 2, 111. https://doi.org/10.3389/fspor.2020.00111

  1. Pickering, C., & Kiely, J. (2017). Can the ability to adapt to exercise be considered a talent —And if so, can we test for it? Sports Medicine - Open, 3(1), 43. https://doi.org/10.1186/s40798-017-0110-3
     
  2. Baxter-Jones, A. D. G., & Mafulli, N. (2003). Endurance in young athletes: It can be trained. British Journal of Sports Medicine, 37(2), 96–97. https://doi.org/10.1136/bjsm.37.2.96
     
  3. Sandbakk, Ø., & Holmberg, H.-C. (2017). Physiological Capacity and Training Routines of Elite Cross-Country Skiers: Approaching the Upper Limits of Human Endurance. International Journal of Sports Physiology and Performance, 12(8), 1003–1011. https://doi.org/10.1123/ijspp.2016-0749
     
  4. Losnegard, T., Myklebust, V., & Spencer, M. (2013). Seasonal variations in V̇O2max, O2-cost, O2-deficit, and performance in elite cross-country skiers. Journal of Strength and Conditioning Research, 11.
     
  5. Jones, A. M. (2006). The Physiology of the World Record Holder for the Women’s Marathon. International Journal of Sports Science & Coaching, 1(2), 101–116. https://doi.org/10.1260/174795406777641258
     
  6. Larsson, P., Olofsson, P., Jakobsson, E., Burlin, L., & Henriksson-Larsén, K. (2002). Physiological predictors of performance in cross-country skiing from treadmill tests in male and female subjects: Performance prediction in cross-country skiing. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 12(6), 347–353. https://doi.org/10.1034/j.1600-0838.2002.01161.x
     
  7. Losnegard, T., & Hallén, J. (2014). Elite cross-country skiers do not reach their running VO2max during roller ski skating. The Journal of Sports Medicine and Physical Fitness, 54(4), 389–393.
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